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SPURNINGAR - FRAGEN - QUESTIONS


Zu Hlynur Hallssons Arbeit "Spurningar-Fragen-Questions"

Der junge, in Island geborene, Künstler Hlynur Hallsson stellt hier auf der Web-Site des Max-Planck-Instituts eine Reihe von Photo-Text-Arrangements vor. Die irgendwo zwischen Schnappschuss und Dokumentarphoto anzusiedelnden Photos entstammen zum Teil seiner persönlichen Lebenswelt - sein schlafender Sohn Hugi oder seine Tochter Loa im Schnee - oder aus der Welt biologischer Forschung - das Institut selbst oder die fast schon sprichwörtlichen Mäuse im Käfig. Jedes Motiv taucht zweimal auf, scheinbar handelt es sich dabei um identische Aufnahmen, doch auf den zweiten Blick wird deutlich, dass sich im vermeintlich Immergleichen was verändert hat: eine kleine Bewegung, eine kaum merkliche Verschiebung des Kamerastandpunktes.
So thematisiert Hlynur Hallsson bereits durch seine Photos zweierlei:
1. statt zu kopieren, zu doubeln, wenn man so will zu "klonen", führt er,wenn auch minimale, so doch bedeutungsmachende Differenzen vor.
2. der Künstler befragt die Präzision unseres Blickes, unseren Willen überhaupt noch den kleinen Unterschied WAHRzunehmen.
Nun werden den Bildern zusätzlich Fragen, die hier im Internet beantwortet werden können, zur Seite gestellt. Die Fragen sind so banaler wie entscheidender Natur: "Warum sind wir hier?" steht z. B. bei dem schlafenden Hugi. Alle Fragen sind in drei Sprachen formuliert: in Isländisch - der Muttersprache des Künstlers also -, in Deutsch und in Englisch. So spricht Hlynur Hallsson hier einerseits im "technologischen Stil der Laborforschung, die an einen internationalen Markt und den Wettbewerb gebunden ist" (Michel de Certeau) und andererseits in den ganz persönlichen Sprachen seiner Familie sowie der seiner derzeitigen "Heimat" BRDeutschland.

 




Der Inhalt dieser Fragen, ihr gleichsam fundamentaler Charakter, lädt nun die von den Photos behauptete Qualität der Differenz, des Nicht-Identischen, endgültig auf mit einer Problematisierung von Identität, von Subjektivität vielleicht. "Identität steht für Immunität", hat der französische Philosoph Jean-Luc Nancy kürzlich formuliert. Immun ist der sich selbst Identische, der, so die griechische Wortbedeutung, "Immergleiche", gegen das Andere, Fremde, gegen jedwede Differenz. Er hat eben seinen eigenen Stil, seinen "own way" gefunden. Man verkennt das dann oftmals als "Persönlichkeit" oder "Charakter".
Auch die Biologie strebt ja mit ihrer Erforschung von der Möglichkeit der künstlichen Produktion von "gleichen", eben geklonten Genen, nach der Option, identisches Leben reproduzieren zu können. Bewusst stellt Hallsson die Frage nach Identität also in genau einem der Kontexte, in denen die Frage nach Subjektivität in Zukunft wohl mitbeantwortet wird. Doch Vorsicht: "die Wahrheit des Subjektes besteht .... in seiner unendlichen Aussetzung." schreibt Jean-Luc Nancy wenige Sätze später. In der Aussetzung im Unheimatlichen, Fremden, im Dazwischen- und Verschiedensein ? kurz und gut: In der Differenz und nicht in der Identität erfahren wir uns und die anderen. Bekanntlich war Bertolt Brechts Herr Keuner bestürzt als ihm ein alter Bekannter testatierte, sich überhaupt nicht verändert zu haben.
Charakter(e) ist(sind) eben nicht mal was für das Theater. Und Identität wird in erster Linie von Sicherheitskräften geschätzt.

Raimar Stange, im April 2000